Was ist eigentlich »Freies Theater« ?
Der Versuch einer Szenenbeschreibung
Von Lena Kußmann (FT Hannover) und Ulrike Seybold (LaFT Niedersachsen) – Stand Juli 2018
Unter »Freiem Theater«, »Freier Theaterszene« oder auch »off-« oder »independent«-Theater versteht man in Deutschland die professionelle Theaterszene jenseits des Stadt- und Staatstheaterbetriebes und der Landesbühnen. Diese Szene hat sich vor allem in den vergangenen vierzig Jahren entwickelt und etabliert und bildet mittlerweile eine wichtige zweite Säule der Tanz- und Theaterlandschaft neben den großen Institutionen.
Die Akteure der Freien Theater haben oft ein Studium oder eine Ausbildung im Bereich Schauspiel, Tanz oder Regie abgeschlossen, doch auch andere Kreativstudiengänge wie Kulturwissenschaften und Quereinsteiger*innen sind vor und auf der Bühne vertreten.
Für Niedersachsen ist hier besonders der praxisorientierte Theaterwissen-schaftsstudiengang der Universität Hildesheim prägend, aber auch die HBK Braunschweig und die HMTM Hannover sorgen mit dafür, dass das Bundesland sehr nachwuchsstark ist. Traditionell gilt das Freie Theater als experimentierfreudig, flexibel und innovationsstark. Die Förderkriterien der meisten Förderer beinhalten ebenfalls die Voraussetzungen von gesellschaftlich relevanten Thematiken und neuen Formen, um überhaupt eine Förderung zu erhalten.
Neue kulturelle Strömungen, politische und gesellschaftliche Entwicklungen finden ihre künstlerischen Entsprechungen oft als erstes in der Freien Theaterszene, von wo aus sie nach und nach in die größeren Stadt- und Staatstheater diffundieren. Produktionen der Freien Theaterszene werden oft von der thematischen Idee bis zur Umsetzung, mithilfe von eigener Recherche, erst erforscht und entwickelt. Hieraus resultiert ein großes Spektrum innovationsstarker Projekte und neuer Formate.
Die Akteur*innen der freien Theaterszene sind oft sehr an politischen Themen interessiert und vertreten über ihre Kunst demokratische Grundwerte. Eine wache Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und mit dem globalen Weltgeschehen ist oft ein Motor und gemeinsamer Nenner zur Ursprungsidee einer Projektentwicklung. Die Eintrittsgelder sind im Gegensatz zu Staats-, Stadt- und Privattheatern relativ gering, um möglichst allen Menschen einen Zugang zu ermöglichen.
Freie Theater sind lokal gut vernetzt und erreichen niedrigschwellig ein diverses Publikum. Die Szene vereint viele unterschiedliche Ästhetiken und Theatersparten, allen gemein ist jedoch, dass sie ihre Struktur entsprechend der jeweiligen künstlerischen Bedarfe aufbauen und nicht umgekehrt. Die Kunst steht unmittelbar im Zentrum, die Arbeitsweisen werden für das jeweilige Anliegen geschaffen. Oftmals bringt dies kollektive, solidarische Modelle mit flachen Hierarchien mit sich, die Ausprägungen sind aber sehr unterschiedlich. Der Männer- und Frauenanteil hält sich die Waage, teilweise überwiegt der Frauenanteil sogar.
Die Freie Szene setzt sich aus Gruppen, die über eigene Räumlichkeiten verfügen und Gruppen, die über keinen eigenen Ort verfügen und diverse Bühnen und bühnenfremde Orte bespielen, zusammen. Hinzu kommen Theaterhäuser, die einen reinen Gastspielbetrieb haben, sowie diverse Mischformen. Die meisten dieser Theater sind als GbR oder als Verein organisiert, es gibt auch andere Rechtsformen wie gUGs, gGmbHs oder kombinierte Modelle. Ihnen allen ist gemein, dass sie zu einem Großteil von öffentlicher und privater Kulturförderung abhängen und nicht kommerziell arbeiten. Im Gegensatz zu privaten Theatern finanzieren sich Freie Theater so gut wie nicht über die Eintrittsgelder, sondern über die Fördermittel.
Das erlaubt ihnen, bei funktionierender Förderung, Themen und Formate auszuprobieren, die jenseits des kulturellen Mainstreams liegen. Die Finanzierung läuft über die meist jährliche Antragsstellung eines oder mehrerer Projektförderanträge bei Kommunen, Ländern oder zum Teil auch dem Bund (Fonds Darstellende Künste) so wie öffentlichen und privaten Stiftungen. Alle Theater sind durch einen wackeligen und verhältnismäßig kurzfristigen Fördermix getragen. Etwas Kontinuität wird ggf. durch Förderinstrumente wie Grundförderung, Konzeptionsförderung, institutionelle Förderung, Investitionsförderung usw. ermöglicht, muss aber ebenfalls regelmäßig beantragt werden.
In den etablierteren, entwickelten Verfahren entscheiden Jurys über die Vergabe der Mittel und geben ihre Empfehlung an die jeweilige Förderinstitution weiter, die auf dieser Basis final über die Mittelvergabe entscheidet. Die Förderinstrumente unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland und von Kommune zu Kommune.
Aufgrund der großen Anzahl freier Künstler*innen und der relativ geringen Summe der zur Verfügung stehenden Gelder ist die finanzielle Lage der Künstler*innen größtenteils und bundesweit eine prekäre. Das Fördersystem denkt nicht in Künstler*innenbiographien, sondern in Einzelprojekten.
Deshalb sind viele Lebensläufe durch die Notwendigkeit von zusätzlicher Arbeit gekennzeichnet (künstlerische und kunstferne), welche Energie und Zeit der Betroffenen fordert. Daher kämpfen die Künstler*innen der Freien Szene immer wieder für eine Erhöhung der Mittel, um weiterhin die hohe Qualität ihrer Projekte gewährleisten zu können.
Ein Versuch, dieser prekären Lage beizukommen, ist die Empfehlung der sogenannten Honoraruntergrenze. Diese wird seit 2015 vom Bundes-verband Freie Darstellende Künste (BFDK) empfohlen und orientiert sich am Einsteigergehalt des »NV-Bühne« (dem Tarifvertrag für die Stadt- und Staatstheater) sowie am Mindestlohn und addiert eine Pauschale für die Abgaben und Risiken des Freiberuflers. Aktuell liegt die Honorarunter-grenzenempfehlung für die Berufsgruppe mit Versicherungspflicht in der Künstlersozialkasse (KSK) mindestens bei 2.490 Euro im Monat sowie für Berufsgruppen, bei denen eine soziale Absicherung über die KSK nicht möglich ist, bei 2.875 Euro im Monat. Eine Einhaltung der Honorarunter-grenze, welche auch durch eine Anpassung der Fördermittel ermöglicht werden sollte, führt also zu einer faireren Bezahlung im Bereich des vertretbaren Mindestlohns, welcher sonst häufig katastrophal unterschritten wird.
Häufige Klischees und Missverständnisse zum Freien Theater:
»In der freien Szene üben sie für die große Bühne. Hier landet nur, wer an den großen Häusern keine Chance hat«
Viele Künstler*innen wählen den Schritt ins freie Theater bewusst, da sich ihnen hier durch die selbständige Arbeitsweise entsprechendere Möglichkeiten bieten. Sie wollen selbstbestimmt und autark ihre Kunst in der Gesellschaft gestalten, anstatt ausführendes und von fremden Vorgaben bestimmtes Organ zu sein. Immer mehr Ausbildungsgänge reagieren auf diese bewusste Differenzierung und bieten Qualifikationen explizit für die Freie Szene an.
»Im Freien Theater arbeiten Amateure und Hobbyschauspieler«
Die meisten Akteur*innen des Freien Theater sind im Besitz von Diplomen, Doktortiteln, Masterabschlüssen oder Ausbildungen in dem Bereich ihrer Profession. Doch auch Quereinsteiger und Menschen mit Leidenschaft und Talent ganz anderer Berufswege ergänzen die Teams. Allen gemein ist die Tatsache, dass Freies Theater ihre Profession (und zumindest ihr Haupterwerb) ist, und kein Hobby neben einem anderen Beruf.
»Freies Theater ist ein Nebenjob«
Die meisten Künstler*innen leben in erster Linie von ihrer Arbeit in der freien Tanz- und Theaterszene. Aufgrund der prekären Lage müssen Sie jedoch häufig auch anderen Jobs nachkommen. Diese befinden sich bestenfalls im Bereich ihrer künstlerischen Tätigkeit, andernfalls auch in kunstfernen Bereichen. In der Regel sind aber diese notwendigen »Geldjobs« der Nebenjob, während die Freie Kunst ihr Hauptberuf ist.